Die Rabengang - Rezension von Helmuth Schönauer

 

Die Erinnerungsliteratur nimmt die Menschen als Zwischenwirt, um mit ihm ungeahnte Visionen über die Kindheit zu entwickeln. Eine besondere Form dabei ist die zitierte Jugendliteratur, worin jemand im Stile seiner Kindheit seine Träume aus dem Erwachsenenleben erzählt in der Hoffnung, dass es auch die Kids von heute interessieren wird.

 

Johann Kapferer schreibt Abenteuerbücher, die durchaus aus dem Geiste der eigenen Kindheit verfasst sind. Die sagenumwobene Enid Blyton (gestorben 1968) schwebt im Hintergrund über einem Setting, das hell, zukunftsfroh und sommerlich ist. Ihre Bücher über Kinderbanden in der Ferienzeit prägen noch heute die Vorstellung, wie schöne Ferien gelingen könnten. Wenn man Gang mit Arbeitsgemeinschaft übersetzt, so ist dieses Ferienmodell bis heute bei Groß oder Klein geschätzt, ob man nun einen Banküberfall durchführt, eine Regierung bildet, oder eine naheliegende Ruine erkundet.

 

Die Geschichte von der Rabengang ist klar und ohne Schnörkel: Zwei Buben beschließen, die angehenden Sommerferien mit der Erkundung einer Ruine zu beginnen, zu der es einen Geheimzugang geben soll. Rechtzeitig zu Sommerbeginn stolpert ihnen ein Rabe zu, der sich den Flügel gebrochen hat. Aber anstatt nach gelungener Heilung wieder abzufliegen, bleibt Rudi, wie der Vogel mittlerweile heißt, in seinem Sanitätskorb sitzen und unterhält die Menschen, die bald einen Narren an ihm gefressen haben. Nach der Zeugnisverteilung gibt es noch einen Überraschungsausflug zum Innsbrucker Flughafen, wo ausnahmsweise keine Apres-Gletscher-Skifahrer abgeholt werden sollen, sondern eine Cousine aus Kanada.

 

Einen guten Sommer musst du von der ersten Stunde an zelebrieren, weshalb sich das Vogel-Kinder-Quartett die „Rabengang“ nennt und mit dem Abenteuer in der Ruine beginnt.

 

Da trifft es sich gut, dass zwei Gangster eine ähnliche Idee haben. Sie haben soeben einen analogen Banktresor ausgeraubt und verschleppen die Beute ebenfalls analog in einen geheimen Serviceraum in der Ruine. Bald gibt es ein gegenseitiges Stutzen, Verfolgen, Verstecken und Austricksen. Die Rabengang hat den Vorteil, dass sie den Raben Rudi wie eine Drohne einsetzen kann.

 

Zur Abrundung wird dann die Behörde eingeschaltet, die vorerst die eingesperrten Kinder aus dem Gemäuer befreit und sie anschließend mit einem echten Helikopter auf Gangsterjagd mitnimmt. Die Bankräuber ergeben sich, als sie das Hubschraubergeräusch hören, sie wissen, dass sie verloren haben. Denn wenn in Tirol irgendwo ein Heli landet, tut er Gutes, und spuckt entweder einen Goldesel am Gletscher aus oder nimmt einen reichen Verletzten mit. So geschieht es auch in diesem Fall, die Beute wird den Gangstern entrungen und sicher bald den geschädigten Reichen übergeben werden.

 

Illustriert sind die Höhepunkte der Rabengang durch Yeti, der einen unverwechselbaren Porträt-Stil entwickelt hat. Ihm gelingt es easy, verschreckte Augen in der Dunkelheit zum Durchhalten zu bewegen, das Karma einer Ruine in die Ferienköpfe von Kids zu transportieren, oder einen Raben im Frontalangriff auf eine Gangster-Kiste zu zeichnen. Vor allem das Porträt zweier Männer in eleganten Anzügen, die als Edel-Models auftreten, lässt einen im ersten Blick an einen lokalen Wahlkampf denken, ehe man das Bild dann konzentriert in den Kontext zurücklegt.

 

Johann Kapferer hat mit den Jahren einen einzigartigen Stil entwickelt, der vorerst Verwirrung stiftet, weil er mehrdeutig ist. Ist das nun ein Kinderbuch oder doch eine nostalgische Abrechnung der Großelterngeneration? – Beides. Die Kids werden erst später in ihrem biologischen Herbst, wenn quasi das Klima die Welt vernichtet hat, merken, wie mehrdeutig Träume sein können. Und die Erwachsenen wissen um die Unschuld, die Voraussetzung für Träume ist. Je schöner das Versinken in dieses Abenteuerbuch ausfällt, umso robuster wird das Aufwachen im Tirol der Gegenwart.

 

Johann Kapferer: Die Rabengang. Das Geheimnis der schwarzen Ruine. Erinnerungen an unbeschwerte Jugendjahre in Zirl in Tirol. Mit Illustrationen von Christian Yeti Beirer.

120 Seiten. EUR 21,30. ISBN 978-3-7534455-8-8.

 

Johann Kapferer, geb. 1962 in Hall in Tirol, aufgewachsen in Zirl, lebt in Oberhofen.

 

Christian Yeti Beirer, geb. 1966 in Reutte, lebt in Zirl.

 

Helmuth Schönauer 15/08/21

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Die pfefferminzgrüne Lokomotive - Rezension von Helmuth Schönauer

 

Die Kids bekommen heutzutage alles an Information vorgesetzt, was sie für die Gier nach Konsum brauchen. Die Digitalisierung dient vor allem dazu, den Online-Handel schon bei den Kleinsten in Schuss zu halten. Sogenannte wahre Werte kommen kaum mehr vor, am ehesten noch in Kinderbüchern, die fast schon als Untergrundware gehandelt werden.

Johann Kapferer schickt mit seiner „pfefferminzgrünen Lokomotive“ ein fröhliches Kinderbuch auf die Reise. Der Titel ist schon freundlich, und das Herz geht gleich auf, wenn man den Namen der Lokomotive hört: Lotte! Lotte ist eine kuschelige E-Lok, die vom Lokomotivführer Heinrich jeden Tag aus der Remise geholt wird. Wahrscheinlich ist auch Heinrich irgendwie grün und ist somit als Grüner Heinrich eine echt literarische Figur.

An die Lok werden jeden Tag drei Waggons angehängt, die der Schaffner Anton betreut. Wenn die Kinder auf dem Bahnsteig drängeln, gibt es immer viel zu tun. Vor allem den gelben Strich wollen die Kids partout nicht einhalten und überschreiten diesen, was den Anton zum Einschreiten zwingt.

So schlecht können die Kinder gar nicht aufgestanden sein, dass sie nicht beim Anblick von Lotte und dem Personal zu einem Grinser gezwungen würden. Da sind Leute am Werk, die ihre Arbeit gerne tun. Und das ist ja der tiefere Sinn der Arbeit, dass man sie gern tut, weil dann das ganze Leben gleich wie auf Schienen läuft.

Eines Tages freilich ist es dunkel, als ob ein Giga-Sturm aufgezogen wäre. Und der Regen ist salzig wie eine schlechte Suppe, und die Sonne ist weg. Ja die Sonne ist weg, sie glauben es alle kaum.

Bald sehen die Werktätigen Heinrich und Anton, dass die Sonne in den See gefallen ist, ein bisschen schimmert sie noch vom Grund herauf. Für alle ist klar, dass die Sonne recht hat. Wenn sich die Menschheit so gierig und wüst benimmt, ist es kein Wunder, dass die Sonne genug hat.

Andererseits geht es ohne Sonne nicht, und die beiden Arbeitstiere denken daran, die Sonne aus dem Wasser zu hieven, zumindest für ein Sonnen-Provisorium wird es reichen. Aus der Umgebung wird ein schwerer Kran geholt, der ans Ufer muss. Lotte soll ihn ziehen, aber Lotte dreht durch. Zumindest an den Rädern. Mit viel Feingefühl und Sand schleppen sie den Kran zum See, wo dann mit Handwerkskunst die Sonne aus der Tiefe gehoben wird. Die Kids schauen atemlos zu und schwören sich, auf die Sonne in Zukunft besser aufzupassen und die Welt nicht noch mehr zu versauen.

Es gibt nichts Schöneres, als nach einem Arbeitstag in die Garage zu fahren und zu wissen, dass man die Welt gerettet hat.

Johann Kapferer hat ein handfestes Kinderbuch geschrieben mit selbstgemachten Buntstiftzeichnungen, sympathischen Helden und einer ordentlichen Moral. Augenzwinkernd wendet er sich natürlich an die Erwachsenen und zeigt ihnen, wie ein echter Gewerkschaftsroman aussehen könnte. Die Werktätigen lachen wie geheime Leser, und lassen sich von diesem Buch in ihrer Arbeitsmoral anstecken.

 

Johann Kapferer: Die pfefferminzgrüne Lokomotive (überarbeitete Neuauflage - März 2022). Mit Illustrationen von Christian "Yeti" Beirer.

BoD: 76 Seiten. EUR 19,50. ISBN-13: 9783755710158

  

Helmuth Schönauer 16/12/17

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Der zitronengelbe Omnibus - Rezension von Helmuth Schönauer

 

In jedem Kinderbuch steckt auch ein magischer Roman für Erwachsene, der von den Vorleserinnen heimlich aus dem Buch herausgestohlen wird, wenn die Kids eingeschlafen sind.

Johann Kapferer hat mit dem „zitronengelben Omnibus“ in Wirklichkeit einen handfesten Roman aus der Arbeitswelt geschrieben und gezeichnet. Held der Arbeit ist Albert, ein Schulbus-Chauffeur der pädagogischen Extraklasse. Seinen Omnibus kennt er in- und auswendig, er hat ihm den Namen Eberhard gegeben, und Eberhard gehorcht aufs Wort, wenn man die richtigen Pedale und Hebel drückt. Albert bringt seine Schülerschaft nicht nur täglich pünktlich in die Schule, er weckt sie auch auf mit brauchbaren Lebensweisheiten und schreitet mit Mitgefühl ein, wenn es zu laut wird. An besonderen Tagen, wenn die Welt wirklich rund ist, erzählt er auch eine Geschichte.

Aber dann schlägt die Arbeitswelt unerbittlich zu. Das Kreuz vom Albert ist kaputt, irreparabel durchgesessen am Arbeitsplatz, millionenfach durchgesiebt von Schlaglöchern, die der Omnibus Eberhard nicht mehr richtig hat abfedern können. Albert wird in den Krankenstand geschickt und in der Firma wird modernisiert, statt des Oldies werden drei neue Busse angekauft.

Die Zeit ist brutal, wenn sie nicht vom Fleck rückt. Albert ist mittlerweile in Pension und staunt nicht schlecht, als eines Tages sein ehemaliger Arbeitskollege Eberhard am Abschlepphaken zur Verschrottung fährt.

Jetzt mobilisiert Albert aber die letzten Kräfte, stürzt zur Schredder-Anlage, wo einem ehemaligen Schüler gerade das Herz bricht, weil er Eberhard zerschnipseln soll. Mit vereinten Kräften wird der Omnibus freigekauft und im Garten aufgestellt, wobei er nach einer Rundumpflege wieder zitronengelb in die Gegend leuchtet.

Die Schüler vermissen schon lange die Lebensweisheiten und die Umsicht ihres ergrauten Chauffeurs. Jetzt tauchen sie wieder im Garten auf und horchen im alten Bus den jungen Geschichten zu, die Albert erzählt und erzählt. Denn „Einsamkeit ist etwas, das jeden von uns widerfahren kann. […] Sie macht vor niemandem halt. Sie klopft auch nicht an unsere Tür, sondern steht plötzlich mitten im Raum.“ (66)

Und die Moral von der Geschicht: einen guten Arbeitsmenschen verwirft man nicht! In der Härte der Arbeitswelt wirken vernünftige Geschichten beinahe schon wie ein Märchen, wenn etwas gut ausgeht, glaubt man es schon fast nicht mehr.

Johann Kapferer ermuntert die Erwachsenen, einen Sinn aus ihrem Tagwerk zu schöpfen, damit die Geschichte vom zitronengelben Omnibus glaubhaft bleibt, wenn sie am Abend vorgelesen wird.

 

Johann Kapferer: Der zitronengelbe Omnibus. Mit Illustrationen vom Autor.

Zirl: BAES 2016. 69 Seiten. EUR 16,90. ISBN 978-3-9504186-0-6.

 

Helmuth Schönauer 28/05/16

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